Rachel Roberts (HRI): Homöopathie ist mehr als Placebo

Interview mit Rachel Roberts, Geschäftsführerin des britischen Homeopathy Research Instituts (HRI). Sie ist Expertin zum Thema Homöopathie-Forschung. Roberts erkläert u.a. die Standards qualitativ guter Forschung und nennt Homöopathie-Studien, die diese Standards erfüllen. Auf die Frage nach der Wirkung homöopathischer Arzneien sagt sie: „Die besten Untersuchungen zeigen, dass homöopathische Arzneimittel echte klinische Wirkung haben, die über den Placebo-Effekt hinausgehen.“

Was sind Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Qualitätsmerkmale für gute Forschung?

Wenn ich die Qualität von Homöopathie Studien beurteile, achte ich immer auf das, was ich als kompromisslose Forschung bezeichne – d. h. Studien, die die richtigen Fragen stellen, die die hochwertigsten konventionellen wissenschaftlichen Forschungstechniken anwenden und die es außerdem schaffen, die Qualität der homöopathischen Behandlung der Patienten nicht zu beeinträchtigen oder zu gefährden.

Das bedeutet für mich gute Forschung:

  1. Sie untersucht potenzielle neue Behandlungen für Patienten, die dringend klinische Hilfe benötigen. Es macht keinen Sinn, die Homöopathie für Krankheiten zu erforschen, bei denen die konventionelle Medizin bereits hervorragende Arbeit leistet. Viel wichtiger ist es, zu prüfen, ob die Homöopathie Patienten helfen kann, für die es derzeit keine ausreichend wirksame Behandlung gibt oder bei denen die vorhandenen Behandlungen problematisch sind – weil sie etwa unerwünschte Nebenwirkungen verursachen oder kontraindiziert sind.
  2. Es werden Studiendesigns und Ergebnismessungen (Instrumente zur Messung der Auswirkungen der getesteten Behandlung) verwendet, die in der wissenschaftlichen Welt allgemein anerkannt sind.
  3. Die Wahl der Arznei(en), die Dosierung und die Dauer der Behandlung sollten der Behandlung ähnlicher Patienten durch gut ausgebildete homöopathische Verordner in der realen Welt entsprechen.

 

Können Sie uns ein Beispiel einer Studie nach Ihrem Qualitätsanspruch nennen?

Eine meiner derzeitigen Lieblingsarbeiten, die ein perfektes Beispiel für all diese Elemente darstellt, ist eine israelische Studie (Lotan et al. 2020), in der untersucht wurde, ob die Homöopathie Seromen (Flüssigkeitsansammlungen nach Operationen) nach einer Mastektomie bei Patientinnen mit Brustkrebs vorbeugen kann. Serome verursachen in der Regel starke Beschwerden und verzögern die Heilung, doch gibt es keine andere konventionelle Behandlung als das Anlegen von Drainagen nach der Operation, um die Flüssigkeit zu entfernen.

Diese „Goldstandard“-Studie – eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie – ergab, dass bei den Frauen, die nach der Operation mit homöopathischen Arzneimitteln (Arnica montana und Bellis perennis) behandelt wurden, die Drainagen 2,4 Tage früher (18 % früher) entfernt werden konnten als bei den Frauen, die ein Placebo erhielten. Bedauerlicherweise müssen sich viele Frauen einer solchen Operation unterziehen, so dass es sehr wünschenswert wäre, wenn weitere Forschungen in diesem Bereich durchgeführt würden, mit dem Ziel, dieses einfache homöopathische Behandlungsprotokoll als durchzuführende, kostengünstige Ergänzung der routinemäßigen Nachsorge für solche Patientinnen einzuführen.

Wie beurteilen Sie die Standards in der Homöopathie Forschung?

Die Standards in der Homöopathie Forschung sind im Vergleich zu anderen Bereichen, einschließlich der konventionellen medizinischen Forschung, sehr gut. Laut den Ergebnissen einer kürzlich im BMJ veröffentlichten Studie (Gartlehner et al. 2022) scheint der Forschungssektor der Homöopathie die konventionelle Medizin in Bezug auf wissenschaftliche und ethische Standards zu übertreffen, mit einem geringeren Maß an „Berichtsverzerrungen“ – ein Problem, das zu einer Überschätzung des Nutzens von Behandlungen führen kann. So wurde beispielsweise untersucht, wie oft die Forscher das „primäre Ergebnis“ änderten, d. h. welches Symptom bzw. welche Messung, das während einer Studie überwacht wurde, als das wichtigste „Ergebnis“ der Studie angesehen wurde. Es wurde festgestellt, dass dieses Verschieben, um günstigere Ergebnisse zu erzielen, in 25 % der Homöopathie-Forschungsstudien vorkommt, während dies in 43 % der Studien der konventionellen Medizin der Fall ist (Shah K et al, 2020).

Ich beschäftige mich nun schon seit über zehn Jahren mit der Homöopathie Forschung und es ist schön zu sehen, dass immer mehr qualitativ hochwertige Studien veröffentlicht werden. Laut Dr. Robbert van Haselen, dem Direktor des World Integrated Medicine Forum, zeigt die Evidenzbasis der Homöopathie in den letzten Jahren einen klar erkennbaren Trend zur Verbesserung der Studienqualität. Es wird also auf immer höherem Niveau geforscht – wir müssen nur noch mehr davon produzieren!

An welchen Homöopathie-Themen arbeiten die Wissenschaftler derzeit?

Ein spannendes Forschungsgebiet ist die Erforschung des Einsatzes der Homöopathie über die klinische Medizin hinaus, als Teil einer nachhaltigen und ökologischen Landwirtschaft. Die Verwendung ungiftiger homöopathischer Produkte anstelle chemischer Pestizide oder der Ersatz von Antibiotika in der Viehzucht durch homöopathische Arzneimittel könnte beispielsweise die Umweltverschmutzung und die Verunreinigung der Nahrungskette verringern.

Können Sie die Aussage „Homöopathie funktioniert nicht über den Placebo-Effekt“ bestätigen?

Ganz und gar nicht. Dies ist eine häufig genannte Theorie, aber die Daten sind einfach nicht vorhanden, um sie zu stützen. Im Gegenteil, die strengsten Untersuchungen zeigen, dass homöopathische Arzneimittel eine echte klinische Wirkung haben, die über den Placebo-Effekt hinausgeht – den man bei allen medizinischen Behandlungen beobachten kann.

Laborforscher in mehreren Ländern haben gezeigt, dass homöopathische Arzneimittel biologische Wirkungen bei Pflanzen, Fischen, Kaulquappen und sogar isolierten Blutzellen haben können. Diese Ergebnisse können nicht durch Placebo erklärt werden.

Und wenn wir uns die klinische Forschung ansehen, so hat der bahnbrechende Bericht von Dr. Robert Mathie aus dem Jahr 2014 gezeigt, dass individuell verschriebene homöopathische Arzneimittel mit 1,5- bis 2,0-fach höherer Wahrscheinlichkeit eine positive Wirkung haben als Placebo. Die klinische Wirkung, die er bei homöopathischen Arzneimitteln feststellte, ist ähnlich wie bei verschiedenen konventionellen Medikamenten, z. B. Sumatriptan bei Migräne, Fluoxetin bei schweren depressiven Störungen und Cholinesterasehemmer bei Demenz.

Wenn man sieht, dass diese Art von positiven Daten in allen Teilbereichen der Forschung – Laborexperimente, Veterinär- und Humanforschung – generiert werden, ist der Gesamttrend schwer zu ignorieren.

Referenzen

  1. Lotan AM et al. Arnica montana and Bellis perennis for seroma reduction following mastectomy and immediate breast reconstruction: randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Europäische Zeitschrift für Plastische Chirurgie, 2020: 43, 285-294.
  2. Gartlehner G et al. Assessing the magnitude of reporting bias in trials of homeopathy: a cross-sectional study and meta-analysis. BMJ Evidence-Based Medicine, 2022; eFirst
  3. Shah K et al. Outcome reporting bias in Cochrane systematic reviews: a cross-sectional analysis. BMJ Open, 2020;16;10:e032497.

 

Rachel Roberts

ist Geschäftsführerin des Homeopathy Research Institute (HRI) und arbeitet seit 2010 für das Institut. Sie schloss ihr Studium der Biowissenschaften an der Universität Birmingham (UK) mit Auszeichnung ab und spezialisierte sich auf Physiologie. Außerdem absolvierte sie 1997 das College of Homeopathy in London und arbeitete anschließend bis 2012 als Homöopathin in privater Praxis. Rachel Roberts unterrichtete Homöopathie und medizinische Wissenschaft an verschiedenen Institutionen in und außerhalb Großbritanniens.

Über HRI

HRI ist eine im Vereinigten Königreich ansässige gemeinnützige Organisation, die sich der Förderung qualitativ hochwertiger Forschung im Bereich der Homöopathie auf internationaler Ebene widmet. Weitere Informationen: www.hri-research.org

2024-09-10T10:51:13+02:00

Kommentar: Lauterbach, Twitter, Homöopathie und die Wissenschaft

Ein Kommentar von Dr. med. Ulf Riker, 2. Vorsitzender des DZVhÄ

Im März dieses Jahres twitterte unser Gesundheitsminister: „Wir brauchen mehr Wissenschaft … und nicht weniger“. Recht hat er, der Lauterbach, ganz ohne Zweifel: unsere moderne und in bestimmten Bereichen hocheffektive Medizin wäre ohne die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft  und ihrer Hilfstruppen aus Pharmazie oder Medizintechnik gar nicht denkbar. Ein Schelm, der annimmt, dass homöopathische ÄrztInnen daran zweifeln würden!

Woran man aber zweifeln darf ist die Plausibilität eines Denkmodells, in dem Wissenschaft als reine Natur-Wissenschaft absolut gesetzt wird. Seit langer Zeit und bis zum heutigen Tag postuliert diese Wissenschaft den Alleinvertretungsanspruch für Erkenntnisgewinn, ist dabei aber nicht wirklich bereit einzuräumen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mehr sind als Wahrscheinlichkeiten, die aus Beobachtungen abgeleitet sind.

Mag sein, dass Herr Lauterbach sogar dem Biologen Jakob von Uexküll zustimmen würde, von dem der Satz stammt: „Die Wissenschaft von heute ist der Irrtum von morgen“. Wir halten uns aber ganz offenkundig lieber am Heute fest als an morgen zu denken. Ein Beispiel: vor 50 Jahren hat der Club of Rome vor den Grenzen des Wachstums gewarnt, das damalige Handeln von Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft war ohne Zweifel wissenschaftsbasiert, die Warnung vor den Folgen freilich war es auch! Gewonnen hat das weiter so, vor den Konsequenzen in Form mehrerer paralleler Krisen stehen wir heute. Wie viele PolitikerInnen oder WissenschaftlerInnen kennen Sie, die heute öffentlich einräumen: ja, wir haben uns verrannt, wir hätten damals anders handeln müssen, es tut uns leid, wir haben uns getäuscht…? (Ach so, da hat doch eben unser Bundespräsident bekannt, dass er sich in der Russlandpolitik mitsamt vielen anderen hochrangigen Politikern getäuscht hat. Das hat immerhin ein gewisse Größe, auch wenn der entstandene Schaden noch größer ist…).

Und heute? Wir finden Mikroplastik in unserem Blutkreislauf, wir messen sinkende Grundwasserstände, wir investieren Milliarden in Renaturierung ganzer Landschaften, das Umweltbundesamt warnt vor zukünftig immer mehr Arzneimitttelrückständen in den Gewässern, große Geldsummen müssen als Folge anfälliger Monokulturen in Wald-Umbauprogramme investiert werden. Und so weiter. Alles von Wissenschaftlern aller möglichen Fachrichtungen mit- und vorausgedacht, nach „derzeitigem Wissensstand“ jederzeit gesichert.

Nachhaltiges Denken und Handeln sieht anders aus! „Irrtümer entstehen durch geschlossene Denk-Kollektive“, so fasste es der Biologe, Immunologe und Erkenntnistheoretiker Ludwig Fleck schon vor einem halben Jahrhundert zusammen und wies auf die Beharrungstendenz etablierter Denkstile hin. Max Planck trieb diesen Gedanken auf die Spitze und gab zu bedenken, dass sich neue Ideen erst dann durchsetzen können, wenn die Vertreter der alten ausgestorben seien.

Können wir in Zeiten sich gegenseitig verstärkender Krisen auf das Aussterben von Denkmodellen mit empirisch fragwürdigem Gehalt warten? Reichen lineare und teilweise monokausale wissenschaftliche Denkfiguren aus?  Oder braucht nicht doch unser Portfolio der Erkenntnismöglichkeiten Ergänzung, z.B. durch emotionale Intelligenz, Erfahrung oder Intuition? „Der Gegenstand ärztlicher Erkenntnis selbst unterscheidet sich im Grundsatz vom Gegenstand naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Während der Naturwissenschaftler typische, normale Phänomene sucht, studiert der Arzt gerade die nichttypischen, nicht normalen, krankhaften Phänomene.“ Vielleicht eine Brücke zwischen naturwissenschaftlich orientierter Medizin und Homöopathie mit dem Zugewinn von Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit und breiter Akzeptanz unter Menschen, die Gegenwart und Zukunft in ihrer ganzen Komplexität und Vielfalt berücksichtigt wissen möchten. Wie wäre es, lieber Herr Gesundheitsminister, wenn wir alle gemeinsam etwas breiter denken würden, wie viel von welcher Wissenschaft wir eigentlich brauchen und wie wir mit ihrer Hilfe, aber auch mit ergänzenden tools den „One Health“-Gedanken in gegenseitigem Respekt umsetzen und Zukunft sichern können?

2022-07-14T16:50:48+02:00

Themendienst Forschung: Homöopathie ist Evidenzbasierte Medizin

In einem 7-seitigen Themendienst zur Homöopathie-Forschung fasst der Deutsche Zentralverein homöpathischer Ärzte (DZVhÄ) den aktuellen Forschungsstand zusammen. „Die Homöopathie-Forschung ist eine wenig beachtete Disziplin, dabei gibt es zum Beispiel über 200 randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) zur Homöopathie, es gibt Grundlagen- und Versorgungsforschung und Datenbanken, in denen sich jeder einen Überblick verschaffen kann“, sagt Dr. med. Michaela Geiger, 1. Vorsitzende des DZVhÄ.

Die Definition der Evidenzbasierten Medizin (EbM) ist laut Cochrane Institut: „EbM stützt sich auf drei Säulen: die individuelle klinische Erfahrung, die Werte und Wünsche des Patienten und den aktuellen Stand der klinischen Forschung.“ Nimmt man auch nur eine der drei Säulen weg, wackelt das Gebäude bzw. es stürzt ein. Der Diskurs um die Homöopathie hat in den letzten Jahren gezeigt, dass es offenbar einfacher ist, nur die Säule von Wissenschaft und Forschung in den Fokus zu rücken, das Modell der EbM also willkürlich zu verändern. Bereits der Begründer der EbM, David L. Sackett (1997) wies auf diese Gefahr des „Tyrannisierens der Medizin durch externe Evidenz“ hin. „Bezogen auf die Homöopathie ist diese Tyrannei sogar eine doppelte: es wird ihr wider besseres Wissen und entgegen der Faktenlage jegliche externe Evidenz abgesprochen“, sagt Dr. med. Ulf Riker. 2. DZVhÄ-Vorsitzender.

„Es liegen genügend Studien für akute und chronische Erkrankungen vor, die eine Wirksamkeit der homöopathischen Therapie über Placebo belegen.“ Prof. Dr. med. André-Michael Beer, Direktor der Klinik für Naturheilkunde der Klinik Blankenstein, Ruhr-Universität Bochum in einem kürzlich erschienenen Konsenspapier von 10 Professor*innen zur Homöopathie

Die Themen im Überblick:

• Einstieg zum Stand der Forschung in der Homöopathie
• Homöopathie ist evidenzbasiert!
• 10 Professoren – 10 Statements zur Homöopathie in der medizinischen Versorgung
• Interview mit Prof. Beer, Initiator der „10 Statements“
• Interview mit Wissenschaftler Dr. Alexander Tournier: „Wir haben genügend Beweise,
die für die Homöopathie sprechen”
• S3 Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen
• Versorgungsforschung: Die Securvita BKK-Studie
• „Evidenzbasierte Veterinär-Homöopathie und ihre mögliche Bedeutung für die Bekämpfung
der Antibiotikaresistenzproblematik – ein Überblick”
• Studienübersichten

DZVhÄ Themendienst-Forschung hier herunterladen.

2022-09-08T12:52:22+02:00

DZVhÄ-Kommentar: Die Freiheit der Wissenschaft verteidigen

Die Uni Hamburg hat sich einen „Kodex Wissenschaftsfreiheit“ verordnet. Die Neue Züricher Zeitung stellt hierzu am 8. Februar 22 fest; „Wenn Selbstverständlichkeiten betont werden müssen, ist die Normalität bedroht“. Wissenschaftsfreiheit ist in Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz gewährleistet. Dennoch wird bereits in der Präambel des Kodex darauf hingewiesen, dass zum Beispiel die „Hervorbringung neuen Wissens, das für moderne Gesellschaften unverzichtbar ist“, nicht selten bedroht wird durch „Delegitimierung wissenschaftlicher Themen oder Gegenstände, die als unbequem oder bedrohlich empfunden werden“.

Auch wenn der Kodex vor dem Hintergrund von „cancel culture“ formuliert wurde hat er dennoch auch Bedeutung für die Homöopathie: Gegner der Homöopathie fordern ein Ende der Diskussion und weiterer Forschung im Bereich Homöopathie. Wissenschaft – verstanden als Orientierungshilfe in der Welt – beruht auf messbaren Fakten, die aber allein nicht in der Lage sind, die Welt und ihre komplexen Phänomene abschließend und endgültig zu beschreiben. Die Wissenschaftsgeschichte erweist sich als eine Folge von Paradigmenwechseln. Das Festhalten am Status quo des bislang Erkannten verhindert die „Hervorbringung neuen Wissens“. Das Ende der Forschung in einem Bereich der Wissenschaft zu fordern, kommt einer Kastration der Wissenschaft selbst gleich.

Nicht weniger, sondern mehr Wissenschaft ist zu fordern, wenn Phänomene zu beobachten sind, die mit den bisherigen Modellen der Erkenntnisgewinnung nicht schlüssig zu klären sind. Wissenschaft muss sich in Freiheit und ohne Voreingenommenheit entwickeln können. Oder mit den Worten von Max Planck:

„Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass die Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.“

Und noch ein weiterer Aspekt ist zu bedenken, der mit Freiheit – in einem weiteren Sinn! – zu tun hat: Messwerte haben im Zusammenhang mit Wissenschaft ihre Bedeutung. Wenn sie jedoch mit Grundwerten von Menschen in Konflikt geraten, dann ist es die Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, dass diese Grundwerte auch im Alltag der Menschen ihren Platz haben können. Das heißt im Zusammenhang mit Homöopathie: Die Freiheit, sich entlang eigener Grundwerte – in gesunden wie in kranken Tagen – entfalten zu können, ist ein Grundrecht. Wissenschaft hat mit ihren Möglichkeiten dazu beizutragen, diesem Grundrecht Substanz zu verleihen. Und Politik sollte verhindern, dass der Freiraum für Wissensgenerierung nicht durch weltanschauliche Interventionen eingeengt wird.

  • Autor: Dr. med. Ulf Riker, Internist / Homöopathie / Naturheilverfahten, 2. Vorsitzender des DZVhÄ
2022-07-14T16:49:39+02:00

10 Professoren, 10 Statements, 1 Konsens zu Homöopathie

Mit einem Konsenspapier zur Homöopathie in der medizinischen Versorgung wenden sich 10 Expert*innen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen, etwa der Pharmakologie, der Gesundheitsökonomie und verschiedenen medizinischen Fachrichtungen, an die Öffentlichkeit. Ihr Papier erschien jüngst in der Zeitschrift Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement (26/2021) des Thieme Verlags. Initiiert wurde das Konsenspapier von Prof. Dr. med. André-Michael Beer, Direktor der Klinik für Naturheilkunde, Klinik Blankenstein, Ruhr-Universität Bochum. Im Interview (siehe unten) plädiert Prof. Beer „für ein Umdenken in der Medizin hin zu einer Integrativen Medizin inklusive der Homöopathie.“ Die Mitautor*innen erklären anschaulich jeweils aus ihren Gebieten, warum die Homöopathie eine wissenschaftlich fundierte, sozioökonomisch sinnvolle und vor allem therapeutisch wirksame Methode ist. Im Interview stellt Prof. Beer fest:

„Es liegen genügend aussagekräftige Studien für akute und chronische Erkrankungen vor, die eine Wirksamkeit der homöopathischen Therapie im Placebo Vergleich belegen und die in wissenschaftlichen hochrangigen Zeitschriften publiziert sind. Zudem bestätigt die ärztliche Erfahrung jeden Tag aufs Neue, dass wir es nicht mit einem Placebo zu tun haben.“

Zum Konsenspapier zur Homöopathie in der medizinischen Versorgung.

Interview mit Prof. Beer über das Konsenspapier Homöopathie in der medizinischen Versorgung

Direktor der Klinik für Naturheilkunde, Klinik Blankenstein, Hattingen / Lehrbereich Naturheilkunde, Ruhr-Universität Bochum

10 Professoren, 10 Statements über die Homöopathie in der Versorgung. Warum haben Sie dies initiiert?

Wir beobachten, dass Therapien der sog. integrativen Medizin, also einer Medizin, die Naturheilkunde mit der Schulmedizin verbindet, immer wieder in die Kritik geraten, obwohl die Kriterien der evidenzbasierten Medizin erfüllt werden.  Die Homöopathie gehört zur integrativen Medizin dazu. Die ärztliche Zusatzqualifikation zur Homöopathie wurde in einigen Bundesländern gestrichen, so dass Ärzte heute diese Qualifikation nicht mehr erlangen können. Der Entscheidungsprozess hierfür war wissenschaftlich kaum nachvollziehbar. Entsprechende fundierte Stellungnahmen liegen hierzu nicht vor. Der Pluralismus unserer Medizin, die „Therapiefreiheit“ steht damit in Gefahr, denn der Arzt muss sich am jeweils aktuellen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand orientieren und die gebotene Sorgfalt walten lassen. Dies kann er aber nur, wenn er sich regelmäßig fort- und weiterbildet.  Es ist jetzt dringend an der Zeit sich um eine Versachlichung der Diskussion zu bemühen. Mit den 10 Statements zur Homöopathie möchten wir zur Fachdiskussion einladen und dafür die inhaltliche Basis legen. Ziel des Positionspapiers ist es, wissenschaftliche Fakten in die Diskussionen über die Relevanz der Homöopathie für die Gesundheitsversorgung einzubringen. Ich selbst befasse mich als konventioneller Mediziner vornehmlich mit den sog. „klassischen Naturheilverfahren“ in Patientenversorgung, Forschung und Lehre und verfüge selbst nicht über die Zusatzqualifikation „Homöopathie“, setze aber in der Klinik die Homöopathie durchaus ein, da es Situationen gibt bei denen wir schlecht beraten wären, wenn wir diese wertvolle Therapieoption nicht nutzen würden.

Homöopathie ist Teil der integrativen Medizin, schreiben Sie. Welche Daten sprechen dafür?

Wir zeigen in dem Positionspapier, dass auch die Homöopathie die Kriterien der Evidenz basierten Medizin erfüllt. Das sind die externe Evidenz durch Studien, die Erfahrung des Arztes und die Präferenz der Patienten – somit ist die Homöopathie ein Baustein eines integrativen Behandlungskonzeptes.

Wie passt das zusammen: einerseits die Notwendigkeit von Leitlinien und dann die absolute individualisierte Homöopathie?

Ein überzeugendes Beispiel ist die S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen“. Der Homöopathie wurde hier der Evidenzlevel 2b zugesprochen, d.h., dass die Therapie nach aktueller Studienlage als optional anwendbar eingesetzt werden kann. In der Begründung heißt es:

„Es liegen Daten aus einer RCT zum Einsatz von klassischer Homöopathie vor. …aufgrund der stark positiven Ergebnisse dieser Studie [kann] der Einsatz von klassischer Homöopathie (Erstanamnese in Kombination mit individueller Mittelverschreibung) zur Verbesserung der Lebensqualität bei onkologischen Patienten zusätzlich zur Tumortherapie erwogen werden“. Wir müssen auf die Praxis schauen, hier hat die Homöopathie sehr gute Erfolge. Wir sehen, dass dies auch begleitend zur konventionellen Therapie ein gutes Konzept ist.

Das Wirkmodell der Homöopathie bezeichnen Sie in Ihrem Positionspapier als plausibel – warum?

Die homöopathische Behandlung verfolgt das Ziel, die körpereigene Regulation und Selbstheilungskräfte anzuregen sowie physiologische Funktionen wiederherzustellen – und dieses Prinzip ist plausibel. Auch in klassischen Naturheilverfahren und anderen medizinischen Therapien ist das Reiz-/Regulationsprinzip bekannt und vor allem anerkannt. Im Übrigen ist der Wirkstoff bei niedrigeren Potenzen nachweisbar. Zum Wirkmechanismus der höheren Potenzen gibt es vielversprechende Hypothesen, die jedoch noch bewiesen werden müssen.

Der Homöopathie wird von Kritikern nachgesagt, sie habe keine Wirkung über Placebo hinaus. Was erwidern Sie?

Es liegen genügend aussagekräftiger Studien für akute und chronische Erkrankungen vor, die eine Wirksamkeit der homöopathischen Therapie im Placebo Vergleich belegen und die in wissenschaftlichen hochrangigen Zeitschriften publiziert sind. Zudem bestätigt die ärztliche Erfahrung jeden Tag aufs Neue, dass wir es nicht mit einem Placebo zu tun haben. Ich sage immer: „Wenn es ein Placebo wäre, dann wäre es ein hervorragendes Placebo“.

Homöopathische Arzneien können in der Therapie alternativ oder begleitend wirksam eingesetzt werden und machen auch sozioökonomisch Sinn. Warum haben die Studien, mit denen Sie diese Aussagen belegen, in der Öffentlichkeit einen so schwierigen Stand?

Die „Öffentlichkeit“ liest und bewertet keine Studien. Das Regelwerk der wissenschaftlichen Gemeinschaft besagt u.a., dass Studien in einer Fachzeitschrift nur publiziert werden dürfen, soweit mehrere unabhängige Gutachter die Studien bewertet haben und diese dann zur Veröffentlichung freigegeben werden – oder, je nach Ergebnis des Gutachterprozesses, nicht. Einem solchen Verfahren unterliegen selbstverständlich auch die Studien zur Homöopathie, die in Fachjournalen schon publiziert wurden. Damit besteht für die wissenschaftliche Welt die Sicherheit, dass die Studie aussagekräftig ist. Innerhalb der wissenschaftlichen Community dürfen solche Veröffentlichung natürlich nochmal kritisch diskutiert werden. Dies ist aber keine Diskussion vor einer Öffentlichkeit, die damit nicht vertraut ist.  Nicht jeder hat die Kompetenz das zu beurteilen. Dafür sind jahrelange Prozesse auch auf den einzelnen Fachgebieten notwendig und dies gilt auch für die Naturheilkunde. Es ist leider so, dass das Regelwerk der wissenschaftlichen Community heute von sog. Experten, also letztlich die Basis, die weltweit als Grundlage unserer wissenschaftlichen Arbeit gilt, in Frage gestellt wird. Es sind auf diesen Wegen immer wieder Fehlinformationen über die Homöopathie in den Laiennetzwerken gestreut worden, ohne wissenschaftliche Auseinandersetzung. Die Homöopathie ist fest im Volk verankert und die Bevölkerung steht laut Umfragen mehrheitlich zur Homöopathie. In vielen Medien wird oft aber ein anderes Bild vermittelt: Ich denke, dass gerade Politiker und Entscheider bei den Krankenversicherungen unsere sozioökonomischen Daten und das Positionspapier daher aufmerksam lesen werden.

Therapiefreit in einem pluralistischen Medizinsystem sind hohe Werte für Sie – was verbinden Sie damit?

Der Begriff der „Therapiefreiheit“ beschreibt, dass einem Arzt aufgrund seiner fachlichen Kompetenz die freie Wahl der Behandlungsmethode zusteht, die er dem Patienten vorschlagen will. Allerdings muss er sich dabei am jeweils aktuellen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand orientieren und die gebotene Sorgfalt walten lassen. Dies kann er aber nur, wenn er sich entsprechend weiterbilden kann.

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Herr Prof. Beer, vielen Dank für das Interview

Das Interview führte Christoph Trapp

2022-07-14T16:49:20+02:00
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