Interview mit Dr. med. Ulf Riker, 2. DZVhÄ-Vorsitzender, 1. Vorsitzender des LV Bayern, über Kommunikation und Homöopathie in Corona Zeiten.
Dr. Riker ist in München als Internist mit den Zusatzbezeichnungen Homöopathie und Naturheilverfahren niedergelassen.
In den größeren Medien ist zurzeit wenig Offenheit zu spüren, sich dem Thema Homöopathie neutral zu nähern. Woran liegt das?
Die Zeit, in der wir leben ist so komplex wie nie. Und sie hat – bezogen auf die Weltgeschichte insgesamt – sehr rasch dieses hohe Komplexitätsniveau erreicht. Vermutlich konnte die Entwicklung unseres Großhirnes bei diesem Tempo nicht mithalten, nur der Anspruch ist geblieben, wir könnten – da wir schon so weit gekommen sind – zu Allem eine schlaue, am besten naturwissenschaftliche Antwort geben. Aber weit gefehlt: ob im gesellschaftlichen Bereich oder in der Medizin sind einfache Antworten gefragt. Also zum Beispiel so: ein Apfel fällt zu Boden, ich sehe also, dass es die Schwerkraft gibt. Es soll gefälligst auch Anderes so einfach sein, z.B. muss ich die Moleküle in einer homöopathischen Arznei sehen (oder messen oder wiegen) können, dann bin ich von der Homöopathie überzeugt, andernfalls nenne ich sie „Unfug“ , „bullshit“ oder „Schwurbelei“. Dass Physiker beim Tüfteln über Schwerkraft nicht nur klärende, sondern auch verwirrende Erkenntnisse gewinnen: mag sein, passt aber nicht in einfache Antworten. Die Schwerkraft gibt es einfach, und Homöopathie wirkt nur, wenn man dran glaubt. Basta! Das ist nicht nur eine einfache Antwort, sondern es ist auch für Redakteure einfach: man kann sich jede weitere oder gar tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem Thema sparen, und fertig ist der Beitrag. So machen es jedenfalls manche Redakteure, Kabarettisten und viele sogenannte Skeptiker, die sich aus einem berechtigten Zweifel schnurstracks in fundamentalistisch geprägte Ablehnung flüchten. Auf diese Weise entsteht – und entstand über Jahre – eine sich selbst verstärkende Meinungs-Blase, an der Wünsche nach Wissen, Objektivität oder Neutralität abprallen.
…und gibt es mal ausgewogene Beiträge müssen sich die Redaktionen Shitstorms der Homöopathie-Leugner gefallen lassen. Es wird dann oft von „false balance“ gesprochen – wie lautet Ihre Antwort darauf?
Richtig! Regelmäßig wird der naturwissenschaftliche Standpunkt (Homöopathie kann gar nicht wirken, weil ab einer gewissen Potenzhöhe gar keine wirksamen Moleküle enthalten sind) absolut gesetzt. Dies entspricht unserem heutigen positivistischen Weltbild. Aus Sicht der Homöopathie-Leugner ist konkrete Naturwissenschaft das Maß aller Dinge und damit unantastbar. Geisteswissenschaft, Gesellschaftswissenschaft oder gar die Erfahrungswissenschaften haben daneben wenig bis keinen Platz. Der Diskussionsrahmen ist also klar definiert und damit auch das, was aus diesem Rahmen fällt: Minderheitenmeinungen zum Beispiel. Nimmt man sie ernst, so verletzt man automatisch das Regelwerk der „richtigen Balance“. Balance würde eigentlich voraussetzen, dass es da wenigstens zwei unterschiedliche Dinge oder Sichtweisen gibt, die in Balance zueinander gebracht werden könnten. Das ist aber nicht vorgesehen, erst recht nicht, wenn mit den wissenschaftlichen Grundannahmen so etwas Diffuses wie ärztliche Erfahrung oder Eigenbeobachtungen von Patienten in Balance gebracht werden müssten. Diese Balance kann nur „false“ sein, egal ob es sich um 50 oder 100 (Fach-)Ärzte oder um 1000 oder 5000 Patientinnen und Patienten handelt. Der Vorwurf von „false balance“ zeigt, dass – zumindest im Bereich der medizinischen Wissenschaft und im Zusammenhang mit Homöopathie – das Individuum als maßgeblicher Akteur seine Bedeutung, ja seine Würde, längst verloren hat.
Entspricht die mediale Stimmung die der öffentlichen Meinung zur Homöopathie?
Es ist beruhigend, dass Patientinnen und Patienten trotz der nun schon seit Jahren anhaltenden Anti-Homöopathie-Kampagne sich dennoch der Homöopathie zuwenden. Zum einen all diejenigen, die vom oft unsensiblen und manchmal autoritären Setting in der konventionellen Medizin („Sie müssen das jetzt nehmen, sonst …!“) enttäuscht und erschüttert sind oder an Nebenwirkungen einer Therapie mehr leiden als an ihrer ursprünglichen Erkrankung (z.B. im Bereich der Onkologie). Zum anderen – und erst recht – all diejenigen, die ihre eigenen positiven Homöopathie-Erfahrungen gemacht haben und sich diese auch nicht von Homöopathie-Leugnern einfach ausreden lassen. Selbst dann nicht, wenn sich unter Letzteren leibhaftige Professoren befinden… Man sollte in diesem Zusammenhang aber auch darauf hinweisen, dass in der Öffentlichkeit ein großer Wunsch nach Homöopathie in (fach-) ärztlicher Hand (oder zumindest unter ärztlicher Begleitung) besteht. Patientinnen und Patienten sind eben nicht die dummen und fehlgeleiteten Kreaturen, die durch „Skeptiker“ bekehrt oder gerettet werden müssten.
Hat die Corona-Situation hier einen Einfluss?
Die Corona-Pandemie hat parallel zur Ausbreitung des Virus noch zu anderen pandemischen Phänomenen geführt: z.B. zu einer Pandemie der Angst und Verunsicherung oder dem pandemischen – und nachvollziehbaren! – Wunsch, es möge doch bitte alles nur ein Traum sein, aus dem man am nächsten Morgen erwacht und alles wäre wie vor der Pandemie. In dieser sozialpsychologischen Melange gibt es natürlich Menschen, die eine verstörende Realität gerne einfach und verständlich interpretiert hätten, um damit besser zu Recht zu kommen. Eine Möglichkeit ist die Leugnung, eine andere die Suche nach Autoritäten, die sagen, was man zu tun oder zu lassen hat. So nachvollziehbar solche individuellen Reaktionen unter Menschen sind, so widerwärtig und obszön ist es, Rollen, Professionen und Motive willkürlich in einen Zusammenhang zu bringen, Menschen in einen Sack zu stecken und dann mit dem Prügel der Verleumdung drauf zu schlagen. Man fühlt sich geneigt, manchen Verleumdern zuzurufen: Schämen Sie sich!
Sind DZVhÄ-Stellungnahmen in Pandemie-Zeiten schwieriger geworden?
Das Virus der Homöopathie-Leugnung hat sich bereits Jahre vor Corona ausgebreitet, neben den Superspeadern aus dem Kreis der „Skeptiker“ lagen Hotspots mit besonders hoher Inzidenz in einigen Redaktionsstuben. Von hier aus ist immer wieder mit neuen Ausbrüchen von Häme und wahrheitswidriger Berichterstattung zu rechnen, daher ist eine gewisse Vorsicht geboten. Allerdings haben wir die Möglichkeit, noch nicht Infizierte oder Personen mit starkem Immunsystem gegenüber verzerrter oder falscher Information mit unseren Argumenten zu impfen. Die Impfstoffe sind bewährt, weil sich ihre Inhalte über Jahrzehnte als sicher erwiesen haben. Impfungen werden inzwischen nicht nur von ausgebildetem Fachpersonal verabreicht, sondern auch von einem Heer behandelter und inzwischen immuner Patientinnen und Patienten befürwortet. Insofern sind im Beipackzettel klare Aussagen über den Wert der Homöopathie möglich und im Interesse zukünftiger Patientinnen und Patienten auch notwendig. Vorsicht ist dann geboten, wenn die Impfstoffe von interessierten Kreisen manipuliert und die Chargen durch inhaltsleere Ampullen ersetzt werden.
Eines Ihre Ziele ist, die Kommunikation zwischen DZVhÄ-Bundesverband und den Landesverbänden zu stärken. Was bedeutet dies für die Wahrnehmbarkeit der ärztlichen Homöopathie?
Es ist wie in einem gesunden Organismus: alle Funktionen laufen abgestimmt und rückgekoppelt ab, Zellen und Organe kommunizieren auf verschiedenen Wegen miteinander, das Immunsystem mit den Ausscheidungsorganen ebenso wie das zentrale Nervensystem mit dem peripheren oder dem hormonellen. Das Resultat ist Vitalität, es reagiert im Idealfall elastisch auf Angriffe von außen und zeigt Frische, Kraft und Resilienz. Ein gesunder Organismus steht mitten im Leben, zeigt sich authentisch und selbstbewusst und geht mit anderen in seinem Umfeld freundlich, kooperativ und respektvoll um. Wenn wir das – gemeinsam! – erreichen, dann ist die Homöopathie knapp 250 Jahre nach ihrer Entdeckung auf bestem Weg, noch weitere 250 Jahre zu überleben!
Sich als Wissenschaftler öffentlich zur Homöopathie-Forschung zu bekennen oder sich als Politiker*in pro Homöopathie einzusetzen, kann die Karriere kosten. Mit welchen Worten ermutigen Sie Menschen, sich Öffentlich zu ihrer Haltung zu bekennen?
Denken Sie selbst (wie es der Sozialpsychologe Harald Welzer empfiehlt)! Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung! Lassen Sie sich nicht von den immer gleichen Personen und mit den immer gleichen fragwürdigen Argumenten einlullen, sprechen Sie selbst mit praxiserfahrenen homöopathischen Ärztinnen und Ärzten, lassen Sie sich die Geschichten über akute und chronische Erkrankungen und deren homöopathische Linderung oder Heilung von Patientinnen und Patienten erzählen! Halten Sie sich an den griechischen Philosophen Heraklit und bedenken Sie: alles ist im Fluss! Und manches Wissen von heute kann morgen bereits Irrtum sein. Denken Sie daran, dass das Wesen der Gravitation (von vielen anderen Fragen gar nicht zu reden!) noch immer Rätsel aufgibt, warum sollte es bei der Homöopathie anders sein? Passen Sie auf, dass Sie nicht morgen feststellen, dass Sie sich im Wald des Wissens trotz aller Umsicht und Vorsicht verlaufen haben!