Interview mit Dr. med. Alexandra Schulze-Rohr, Vorstand Weiterbildung, über die Zusatzbezeichnung Homöopathie. Fachärztin Allgemeinmedizin seit 2001, Zusatzbezeichnung Homöopathie 2001, kassenärztlich niedergelassen in Gemeinschaftspraxis, Lehrpraxis der Uniklinik Lübeck regelmäßige Ausbildung von Assistenten in Weiterbildung, Famulanten, Block-Studierenden (Weiterbildungsbefugnis Allgemeinmedizin und Homöopathie), seit 2002 Dozentin und Kursleiterin im DZVhÄ-Landesverband SH/HH, seit 2013 Vorstellung der Homöopathie im Rahmen des Wahlpflichtfaches der Uniklinik Lübeck. Seit 2014 DZVhÄ-Bundesvorstand Weiterbildung.
Was bedeutet der Verlust der Zusatzbezeichnung in so vielen Kammern für Sie persönlich?
Es ist nicht zu leugnen, dass es oft genug frustrierend ist, diesen Prozess zu begleiten: nachdem alle meine Kontakte mit der Bundesärztekammer seit 2017 immer ausgesprochen wertschätzend und positiv verlaufen waren und wir die Zusatzbezeichnung Homöopathie – sogar mit erhöhter Stundenzahl! – in der Musterweiterbildungsordnung (MWBO) verankern konnten, hatte ich die Hoffnung gehabt, dass wir eine ähnliche Unterstützung auch in den Landesärztekammern finden würden, allem medialen Bashing zum Trotz. Meine eigene Landesärztekammer – Schleswig-Holstein – war ja eine der ersten, die die Zusatzbezeichnung gekippt hat. Wir hatten als Landesverband bis dahin einen sehr guten Kontakt zu Kammer gehabt, jedenfalls dachten wir das. Seit über 20 Jahren fanden A- und B-Kurse von der Ärztekammer organisiert in den Räumlichkeiten der Kammer statt und es gab einen regen Austausch. Nachdem uns der – übrigens neu besetzte, manchmal ist es ja eine Personalie, von der alles ausgeht – Vorstand mitgeteilt hatte, dass er gegen die Zusatzbezeichnung votiere, haben wir alle Hebel in Bewegung gesetzt, die Delegierten einzeln telefonisch kontaktiert, postalisch mit Material versorgt, Fürsprecher in der Kammerversammlung ausgemacht usw. Was mir in den diversen Gesprächen deutlich geworden ist: die Entscheidung war (politisch) getroffen und nicht mehr verhandelbar. Jede mit einem Argument entkräftete Begründung wurde durch eine andere ersetzt. In den meisten Kammern reichte ein – meist spontan gestellter – Antrag, über die Homöopathie separat abzustimmen und dann waren wir draußen und zwar unabhängig von der Vorarbeit der homöopathischen Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Da wurde lieber 10 Minuten über 3 Minuten Rederecht für eine Homöopathin debattiert, als diese reden zu lassen. Irgendwann fällt es da schwer, die Ärztekammer noch als eigene Interessensvertretung wahrzunehmen und die Kollegen dort als solche.
Was bedeutet dies für die Kolleg*innen?
Die Frage haben wir uns im Rahmen der jetzt von einigen Landesverbänden angestrengten Klagen oft gestellt, denn für eine Klage ist eine persönliche Betroffenheit nötig. Das ist tatsächlich weniger einfach, als gedacht, denn die jetzt betroffenen Kollegen haben und behalten ja ihre Zusatzbezeichnung, denn es gibt Bestandschutz. Am ehesten zählen da Argumente wie die Reputation, die Anerkennung durch die Gesellschaft und dass die Abgabe der Praxis an einen qualifiziert homöopathisch tätigen Kollegen erschwert sein wird. Was ich sehr viel schlimmer finde ist der politische und gesellschaftliche Impact und ich nehme an, dass das ja auch das Ziel der Bewegung ist, die man hinter all den Aktionen vermuten darf. Die Ärztekammer – deren Aufgabe ja übrigens nicht die Beurteilung von Evidenz ist – entzieht einer Methode die von ihr verliehene Qualifikation und damit die Garantie fundiert ausgeübt zu werden. Das hat für die Patientensicherheit weitreichende Folgen und es ist – finde ich – eine Ohrfeige für die meist in der Primärversorgung tätigen Kolleginnen und Kollegen, nach dem Motto „mach das von mir aus, aber ich (Ärztekammer) habe damit nichts zu tun“.
Was bedeutet dies für die Homöopathie?
Die Homöopathie wird nicht untergehen. Sie ist immer wieder und immer wieder heftig angefeindet worden. Wir hatten eine sehr gute Zeit in den letzten 20, 30 Jahren mit Selektivverträgen und gesellschaftlicher Anerkennung. Menschen rieten sich auf Partys, mit ihren Beschwerden doch mal zum Homöopathen zu gehen, der ASTA in den Universitäten war rotgrün und pro Homöopathie und die A-Kurse quollen über. Das Pendel geht jetzt in die andere Richtung, aber ich bin sicher, dass die Methode nicht von der Erde verschwindet, auch wenn die „Skeptiker“-Vereinigungen sich das wünschen. Auf die jetzt sehr positivistisch geprägte Generation wird wieder eine folgen, die mehr Ebenen bedient wissen will.
Aber: für die aktuelle Situation ist die Abkehr der Ärztekammern und die gesellschaftliche Stimmung eine Bedrohung des Versorgungsangebotes, so wie es etabliert werden konnte. Interessant finde ich allerdings, wie wenig davon bei den Patienten ankommt und dass mich heute immer noch Leute ansprechen, sie hätten gerade einen Artikel von einer „ganz schlimmen Ärztin gelesen, die auch mal Homöopathin war und sich dann abgewandt hat!“- da kann ich immer nur gratulieren, dass derjenige so lange um Frau Grams herumgekommen ist.
Welchen Stellenwert hat die Zusatzbezeichnung Homöopathie – für was steht sie?
Eine Zusatzbezeichnung zeigt eine anerkannte Spezialisierung an. Die Zusatzbezeichnung Homöopathie ist eine der ältesten Zusatzbezeichnungen und wenn man sieht, wie ungeheuer viele Zusatzbezeichnung es inzwischen gibt und dass es immer mehr werden, stößt ihre Abschaffung besonders auf. Und die Abschaffung beweist eben auch, dass es weder um eine „Verschlankung der Weiterbildungsordnung“ geht, wie von einigen Kammern behauptet, noch um den Ausschluss nicht-evidenz-basierter Verfahren, denn von denen gibt es weiterhin reichlich. Für die Patientinnen und Patienten bedeutet die Zusatzbezeichnung, dass die gewählte Ärztin die Methode beherrscht und eine Prüfung bei der zuständigen Ärztekammer dazu bestanden hat. Das Homöopathie-Diplom des DZVhÄ sagt das auch und rettet uns in dieser Lage, aber eine Qualifikation der Ärztekammer ist natürlich etwas anderes als die Qualifikation des Berufsverbandes.
Wie konnte das überhaupt passieren? Woher kommt diese Ablehnung vieler Kolleg*innen?
Der externe Grund ist sicher die mediale Stimmung, in der Homöopathie Bashing auf Bashing folgt und Redakteure mit ausgewogenen Beiträgen, Shistorms in den öffentlichen Medien fürchten müssen, da haben die selbst erkorenen sog. „Skeptiker“ ganze Arbeit geleistet.
Interne Gründe kann ich mutmaßen und berichten, was ich von Kolleginnen und Kammern oft als Rückmeldung bekommen habe. Denn man muss konstatieren, dass es vermutlich keine zweite Zusatzbezeichnung gibt, deren Erwerb in der Außenwahrnehmung unmittelbar zur Aberkennung von medizinischem Sachverstand und Zurechnungsfähigkeit führt. Das haben die Phythotherapeuten, Psychotherapeuten, Neuraltherapeuten und erst recht die Akupunkteure besser hinbekommen. Die bleiben nämlich alle Ärzte und alle können sie noch bis drei zählen, während Ärzt*innen mit Zusatzbezeichnung Homöopathie quasi über Nacht verblöden und ihr medizinisches Fachwissen vergessen. Das zeigen Rückmeldungen wie „Sie sehen gar nicht aus wie eine Homöopathin“ (Ärztekammer Abnahme Prüfung ZB), „wirkte nicht wie Homöopathin, kannte auch Antibiotikanamen“ (Evaluation Wahlpflichtfach) und „stimmt, Sie kennen ja die Leitlinie zur Sinusitis als Allgemeinärztin auch!“ (Kammerpräsident, hoch erfreut).
Möglicherweise haben wir uns zu sehr auf uns selbst zurückgezogen, ein wenig selbstverliebt? Vielleicht wurde an manchen Stellen auch ein etwas hochmütiger Eindruck erweckt im Sinne von „wir können alles heilen und Ihr seid halt Idioten“, diesen Vorwurf habe ich von Kollegen oft gehört. Ganz sicher haben wir es Jahre lang versäumt, den (steinigen) Weg der Kammerarbeit zu gehen, uns in den KVen und Ärztekammern zu zeigen und zu engagieren, dort unsere „Zurechnungsfähigkeit“ unter Beweis zu stellen und Allianzen zu schmieden. Eine Sachbearbeiterin in der BÄK sagte nach einem Gespräch mal: „Sie müssen Freunde finden, ich glaube, dass ist eines Ihrer Hauptprobleme bei der Zusatzbezeichnung“. Und da hat sie recht, die fehlen uns gerade bitter und da ist es für viele Kolleginnen und Kollegen sehr viel leichter, sich auf die Seite der Mehrheit zu schlagen und über den Tropfen im Bodensee zu lachen. Das war in der Schule ja auch nicht anders…
Die Reaktionen in den DZVhÄ Landesverbänden ist entweder Klagen oder sich politisch engagieren mit Integrativen (Kammer) Listen. Wie bewerten Sie diese Wege?
Da muss ich vorausschicken, dass wir alle uns in einer neuen Situation befinden. Es gibt persönliche Meinungen und Ratschläge von „alten Kammerhasen“, aber welcher Weg zum Ziel führt, wird sich erst zeigen müssen. Also sind das alles Mutmaßungen und „eines schickt sich nicht für alle“, wie es bei Goethe heißt. Mal ist es eine Person, welche die Hand über uns hielt, mal eine gewährtes Rederecht, mal war es einfach Glück, dass die MWBO in toto abgestimmt wurde.
Persönlich ist mir der Weg der Kammerarbeit näher, auch wenn er natürlich ungleich mühseliger ist, aber eben auch nachhaltig. Wenn dieser Weg gelingt, kann man über Jahr(zehnt)e, ein tragfähiges Fundament bauen. Und: solange die Zusatzbezeichnung Homöopathie in der MWBO steht (und das tut sie) kann jederzeit ein Antrag auf Wiederaufnahme gestellt werden, wenn man in der Kammer die oben genannten „Freunde“ gefunden hat. Diese Tür ist also nicht zu. Eine Klage ist ja erst einmal konfrontativ und ich verstehe sehr gut, dass den Menschen danach ist. Darum unterstützen wir die LVe auf diesem Weg. Ob eine beklagte Kammer mittelfristig ein besseres Verhältnis zu der homöopathisch tätigen Ärzteschaft aufbaut oder nicht – mit verbesserten juristischen Kautelen – die Entscheidung erst recht pro Abschaffung fällt? Ich weiß es nicht, aber erst einmal sagt die Klage auch „so nicht“ und „mit mir nicht“ und das ist sicher ein wichtiges Signal und sollte gesetzt werden.
Ist die Zusatzbezeichnung auch ein Thema für Patient*innen?
Zunächst behaupte ich, dass es meinen Patienten egal ist. Als die Ärztekammer Schleswig-Holstein die Zusatzbezeichnung abschaffte war die einzige Frage „aber ich kann doch weiter zu Ihnen kommen, oder?“. Diesen Patienten muss ich dann erklären, dass das politisch und langfristig für die Kostenerstattung und überhaupt schon eine ganz blöde Entscheidung ist. Implizit – was die Patientensicherheit, die Gewährleistung der Versorgung auch in Zukunft, die Kostenübernahme durch GKV und PKV angeht – ist es absolut ein Thema für die Patienten!
Stellt das DZVhÄ Homöopathie-Diplom eine Konkurrenz zur Zusatzbezeichnung dar?
Eine schwierige Frage! Aus Sicht der Ärztekammer ist es das. In früheren Gesprächen mit dem Weiterbildungs-Vorsitzenden meiner Kammer sagte dieser wörtlich, das Diplom mache ihn „unglücklich“, weil er sich wünsche, die Kammerqualifikation wäre die höchstmögliche. Wir haben ja immer kommuniziert, dass wir das Diplom wieder einstampfen, sollten wir die A-F-Kurse und 300 Stunden Fallseminar zurückbekommen. Man hätte dann z.B. eine Fortbildungsverpflichtung einführen können (eine ZB gilt einmal für den Rest des Lebens), aber die Ausbildungszeiten wären identisch gewesen und die Intention mit dem Diplom eine gründliche Ausbildung zu garantieren wäre obsolet gewesen. Durch die Existenz des Diploms konnten wir das Argument der finanziellen Benachteiligung im Falle einer Abschaffung der Zusatzbezeichnung nicht anführen, da verwiesen die Kammern sofort auf das Diplom, sie hatten sich ja vorbereitet. Andererseits: ob es das gerissen hätte? Ich bezweifle es fast und jetzt ist das Diplom die Qualifikation, mit der Kolleginnen und Kollegen in Kammern ohne Zusatzbezeichnung künftig an den Selektivverträgen teilnehmen können. Ohne das Diplom wäre deren Zukunft sehr düster.
Das Diplom bedeutet 1. eine gründlichere Ausbildung, 2. Qualitätssicherung durch Fortbildungsverpflichtung und 3. Voraussetzung zur Teilnahme an den Selektivverträgen. Ist es letztlich nicht egal, ob es die Zusatzbezeichnung gibt?
Da sind wir wieder bei der politischen Aussage und der gesellschaftlichen Akzeptanz. Ich wünsche mir für die ärztliche Homöopathie eine Qualifikation der Ärztekammer und ich finde, die Methode als auch die sie praktizierenden Kolleginnen und Kollegen habe dies auch verdient.